Die Geschichte des Josef Kaiser aus Speyer
Niedergeschrieben und illustriert von Michael Lauter
Rezensent(in): Dudenhöffer Franz
Erscheinungsjahr: 2022
Autor(en): Lauter Michael
Erscheinungsort: Ubstadt-Weiher
„Rheinland-Bastarde“ ̶ mit diesem Schimpfwort bezeichnete man im Deutschland der zwanziger bis vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts Kinder, die während der französischen Besatzungszeit nach dem 1. Weltkrieg aus Beziehungen zwischen Besatzungssoldaten und deutschen Frauen hervorgegangen sind. Da Frankreich zur Einschüchterung der Deutschen vor allem Soldaten aus seinen afrikanischen Kolonien im Rheinland stationiert hatte, besaßen diese Kinder häufig eine dunkle Hautfarbe, was ein zusätzlicher Faktor für ihre Ausgrenzung aus der deutschen Gesellschaft war. In einem 2021 in der „Pfälzer Heimat“ (H.2, 2021, S. 55-61) erschienenen Aufsatz thematisiert Harald Bruckert das Schicksal dieser Kinder, die vor allem im Dritten Reich wegen ihrer Herkunft und ihres oft „undeutschen“ Aussehens ein leidvolles Leben führen mussten. Bruckert gibt in seinem Beitrag die Zahl der wegen ihrer Hautfarbe auf persönliche Anordnung Hitlers zwangssterilisierten Besatzungskinder für das Gebiet der Pfalz mit 300-400 Kindern an. Das sind die Hälfte bis ca. zwei Drittel der im Januar 1925 in der Pfalz gezählten 647 Besatzungskinder (Angaben aus o.a. Aufsatz).
Das Erscheinen des hier zu besprechenden Buches wenige Monate nach Bruckerts Beitrag in dieser Zeitschrift kann nur als glückliches Zusammentreffen bezeichnet werden, zeigt es doch an dem konkreten Beispiel des Speyerers Josef Kaiser, geboren als Kind eines französischen Offiziers aus Madagaskar und einer jungen Frau aus Speyer, den schweren Lebensweg der Kinder. Ausgegrenzt durch ihre Herkunft und ihre oft dunkle Hautfarbe, machte es ihre Umwelt diesen Kindern ständig bewusst, anders zu sein und nicht dazuzugehören.
Die Quelle für die Biografie von Josef Kaiser war seine heute hochbetagt in Speyer wohnende Ehefrau, die er unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs geheiratet hatte und mit der er bis zum Tod im Jahre 1991 in seiner Heimatstadt lebte. Wegen der Abfassung einer Firmendokumentation wurde Michael Lauter in der Wohnung von Frau Kaiser auf ein Foto aufmerksam, das zwei junge Artisten in den frühen 30er Jahren zeigte. Auf seine Nachfrage erzählt ihm Kaisers Witwe im Laufe zahlreicher Zusammenkünfte die Lebensgeschichte ihres verstorbenen Mannes und beweist dabei ein erstaunliches Erinnerungsvermögen. Aus ihren zahlreichen berichtartigen Erzählungen rekonstruiert Lauter dann das Leben von Josef Kaiser: Seine Herkunft und Kinderjahre in armen und beengten Verhältnissen in einer Notunterkunft, seine Jahre im Wanderzirkus Stey, wo seine Artistenkarriere durch einen Sturz vom Hochseil jäh beendet wird. Mit Anbruch des Dritten Reiches und dem Erlass der Nürnberger Gesetze verschlimmert sich die Lebenslage des dunkelhäutigen Josef Kaiser, dem „rassehygienische“ Maßnahmen, die Zwangssterilisation, drohen. Als Hilfsmatrose auf einem Rheinschiff versucht er erfolglos ins Ausland zu fliehen, kehrt nach Speyer zurück und wird schließlich im Städtischen Krankenhaus Ludwigshafen zwangssterilisiert, was ihn in eine tiefe Lebenskrise stößt. Da als „Rheinland-Bastard“ wehrunwürdig und von einer Berufsausbildung ausgeschlossen, schickt man ihn wegen seines technischen Geschicks zur Organisation Todt, wo er am Polarkreis eingesetzt wird und wegen seiner akrobatischen und musikalischen Fähigkeiten ein geschätzter Kamerad ist. Im Herbst 1945 wird Kaiser aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen, kehrt in seine Heimatstadt zurück und verliebt sich in das Mädchen, das ihm schon vor Kriegsbeginn aufgefallen ist. Sie heiraten, obwohl die junge Frau darum weiß, dass ihre Ehe kinderlos bleiben wird. Die schweren Jahre des Wiederaufbaus, die berufliche und gesellschaftliche Integration Josef Kaisers, die kärgliche Wiedergutmachung des körperlich und seelisch erlittenen Unrechts, das Lebensunglück der unfreiwilligen Kinderlosigkeit, aber auch Freundschaften mit Arbeitskollegen und im Sportverein bestimmen die Erwachsenenjahre Josefs. Im Alter von 70 Jahren stirbt er.
Dem Autor Michael Lauter gelingt es mit seinem Buch zu veranschaulichen, welch grausames Schicksal sich hinter der Bezeichnung „Rheinlandbastarde“ verbirgt. Mit seiner unaufgeregten, sachlichen Diktion gelingt es ihm, die Erzählungen der Ehefrau Josef Kaisers als geschlossene Biografie zusammenzufügen.
Bewusst vermeidet er eine allwissende Erzählperspektive, um so nah wie möglich an den Tatsachen zu bleiben. Damit gelingt ihm ein gut lesbares Buch, ein Text, der sich zwischen rein sachorientierter Darstellung und fiktionaler Gestaltung bewegt, wobei die Faktizität eindeutig im Vordergrund steht; letztlich ein gelungenes Beispiel für oral history. In seinem Anmerkungsteil lässt er erkennen, wie er die Erzählung der Witwe Kaisers quellenmäßig stützt. So nennt er zahlreiche Belege aus Aktenbeständen des Stadtarchivs und des Landesarchivs Speyer, aber auch Gespräche mit Historikern, die sich mit der Zeit des Dritten Reichs intensiv beschäftigt haben. Sogar mit Nachfahren der Zirkusfamilie Stey und anderen noch lebenden Zeitzeugen hat er für sein Buch Kontakt aufgenommen.
Seine Biografie ergänzt Lauter, jahrzehntelang als Kunsterzieher und Künstler tätig, mit einer großen Anzahl von Illustrationen, die, obwohl dem Text zugeordnet, dem Buch eine zusätzliche Dimension verleihen. Da er nur auf wenige Fotos Josef Kaisers zurückgreifen konnte, hat er diese mithilfe anderer zeitgenössischer Fotos zu Fotocollagen zusammengebaut und diese durch zeichnerische Ergänzungen erweitert. Anschließend wurden diese Collagen mit Filtern und speziellen Schraffurpinseln am Computer überarbeitet und damit stilistisch vereinheitlicht. So erzielt er eine optische Geschlossenheit des Buches. Sie korrespondiert mit dem Charakter des Buchtextes, eine Verschränkung von Sachdarstellung und Fiktionalität, ein geradezu genialer Kunstgriff!
Somit ist dem Autor ein Buch gelungen, das einerseits der Lesefreude entgegenkommt, andererseits das Informationsbedürfnis des historisch interessierten Lesers bedient. Obwohl von der Thematik her sicher kein „schönes“ Buch, ist es doch von Inhalt und Gestaltung her ein ansprechendes Buch. Dem stattlichen Band im Quart-Format wünscht man eine preiswerte Taschenbuchausgabe als Schullektüre, die den Geschichtsunterricht begleiten und veranschaulichen kann, gerade in unserer Zeit, in der die Ausgrenzung von Menschen alltäglich ist.
Franz Dudenhöffer, Rez. von Michael Lauter, Der schwarze Kaiser. Die Geschichte des Josef Kaiser aus Speyer. Niedergeschrieben und illustriert von Michael Lauter, Ubstadt-Weiher 2022, URL: https://www.hist-verein-pfalz.de/de/rezensionen/7/wid,976/rezensionen.html
Erschienen in: Pfälzer Heimat 74,1 (2023)